Donnerstag, 23. Februar 2012
Die Linke und Gauck
Wir schreiben das Jahr 2012 und in Rekordtempo haben sich alle großen Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten geeinigt. Alle? Nein, eine kleine unbeugsame Schar von Andersdenkenden, die von den übrigen gar nicht erst gefragt wurde, verweigert Joachim Gauck ihre Zustimmung (die Piraten und die NPD lassen wir jetzt mal raus, denn die fragt ohnehin keiner). Die Linkspartei will Gauck auf keinen Fall unterstützen und sucht deshalb eifrig nach einem Gegenkandidaten, gern auch einer Gegenkandidatin.

Menschlich kann man natürlich nachvollziehen, dass die Linke nach dem Motto „Die anderen lassen uns ja sowieso nicht mitspielen“ erst schmollend in der Ecke sitzt und dann vor der ganzen Klasse große Töne macht, um auch ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wie immer in solchen Fällen schießt sie weit über das Ziel hinaus. Dass die Linke ein Problem mit Gauck hat, ist verständlich, aber ihn als „Vertreter des Finanzmarktkapitalismus“ und als „Kriegstreiber“ zu bezeichnen ist, um es vorsichtig auszudrücken, weltfremd.

Im Grunde sind es zwei Punkte, die aus Sicht der Linkspartei gegen Gauck sprechen:

1. Gauck steht als Vertreter der Bürgerrechtsbewegung der DDR gegen alles, wofür die Vergangenheit der Linken als SED/PDS steht. Zahllose Parteimitglieder und Wähler der Linken, die in der DDR hohe Positionen eingenommen hatten oder zumindest nostalgisch rückblickend ein angenehmes Leben gehabt zu haben glauben, sehen in der Bürgerrechtsbewegung immer noch ihren historischen Erzfeind, der ihnen mit der friedlichen Revolution 1989 all das genommen hat, was ihnen lieb und teuer war.

2. Gauck war Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, die maßgeblich dazu beigetragen hat, viele Parlamentarier und Wähler der Linken einer aktiven Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit, ob nun offiziell oder als inoffizieller Mitarbeiter, zu überführen. Sie haben durch diese Arbeit Parlamentssitze und gut bezahlte Anstellungen im öffentlichen Dienst verloren oder gar nicht erst bekommen. Die Schließung der Stasi-Unterlagenbehörde wäre wahrscheinlich die erste Amtshandlung einer Kanzlers der Linkspartei, da kann man kaum erwarten, dass die Partei den ehemaligen Leiter dieser Behörde, die wertvolle Dienste für die Aufarbeitung von DDR-Unrecht geleistet hat, als Bundespräsident befürworten würde.

Warum hat die Linke nicht den Mut, offen zu sagen, was sie an Gauck stört? Die meisten ihrer Wähler sehen das sicher genauso, das heißt, hier gibt es eine gute Gelegenheit zur Wählerbindung. Und die anderen lassen die Linke ohnehin nicht mitspielen, da kann ein bisschen Ehrlichkeit doch nicht schaden, oder?



Freitag, 17. Februar 2012
Wulff tritt zurück - Bühne frei
Wieder einmal ist ein langer politischer Tod gestorben worden und wieder einmal haben wir alle fasziniert zugeschaut, mit dem wohligen Gefühl, dass wir genau wissen, wie das ganze ausgehen wird. Christian Wulff als Bundespräsident ist Geschichte und es wird wohl kaum jemanden geben, der nicht von sich behauptet: „Hab ich kommen sehen.“

Es ist müßig, jetzt darüber zu diskutieren, ob dieser Rücktritt gerechtfertigt, feige oder zu lange hinausgezögert war. Er ist vollzogen und endlich kann sich Deutschland wieder auf eine neue Pressekampagne freuen, diesmal über die um die Nachfolge als Bundespräsident. Wir werden viele Namen und Bilder präsentiert bekommen. Wie üblich werden die ersten offiziell genannten Kandidaten (Schäuble, von der Leyen, Gauck) von allen Seiten ob ihrer Parteilichkeit oder anderer Mängel zerrissen und zurückgewiesen werden, wie üblich wird wieder jemand Thomas Gottschalk oder Dieter Bohlen vorschlagen (der den großen Vorteil hätte, dass zumindest keine überraschenden Skandale an seiner persönlichen Integrität rütteln könnten) und wie üblich werden wir einen ganz am Ende aus dem Hut gezauberten Parteipolitiker präsentiert bekommen. Vielleicht wird es ja Ole von Beust, der ist ja immerhin auch ein Freiherr. Wer weiß das schon. Aber das ist nicht das wichtigste, wichtig ist nur, dass die Medien wieder einige Wochen lang hohe Auflagen und Zuschauerraten verzeichnen können und wir uns alle so richtig demokratisch fühlen, weil wir Präsidenten, die es noch nicht mal schaffen, sich von dubiosen Krediten eine Prunkvilla zu bauen, einfach in die Wüste schicken können.

(Ein Vorschlag zur Güte für die Nachfolgeregelung wäre Angela Merkel. In einer Doppelfunktion als Kanzlerin und Präsidenten könnte sie sich endlich ihren Spitznamen richtig verdienen und sie müsste dann auch keine Angst mehr vor einer Niederlage bei der nächsten Bundestagswahl haben, denn Präsidentin könnte sie ja erstmal bleiben. Da wäre sie doch viel freier in ihren Entscheidungen und das Regieren und Regiertwerden würde gleich wieder viel mehr Spaß machen.)



Donnerstag, 2. Februar 2012
Die causa Peter Müller
Seit 19. Dezember 2011 ist Peter Müller Bundesverfassungsrichter, und keiner hat‘s gemerkt. Das liegt zum Teil sicher auch daran, dass uns alle die Finanzierung eines Klinkerhauses in Großburgwedel viel zu sehr beschäftigt hat. Ein raffinierter Schachzug der Medienkampagne der Union, das kann man wohl auch ohne Verschwörungstheorien zu bemühen getrost so sagen.

Denn das Thema Peter Müller ist viel umfangreicher und kritischer, als der bisher schon so häufig kritisierte Einfluss der politischen Parteien auf die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts. Dass über das Zugeständnis des Parteienproporzes und damit das Vorschlagsrecht der großen politischen Parteien für Posten am Bundesverfassungsgericht durch Auswahl genehmer Kandidaten massiv auf die Meinungs- und Stimmungslage im Bundesverfassungsgericht eingegriffen werden kann, ist schon lange kein Anlass mehr für Aufregung und hitzige Debatten. Dass dies regelmäßig zu einer Einflussnahme der Legislative und Exekutive in die Interessenssphäre der Legislative führt, wird auch nur noch äußerst selten als Problem für die Gewaltenteilung, die ja gerade auf der strikten Trennung dieser drei Gewalten basiert, aufgefasst.

Aber genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Peter Müller ist nicht nur auf Vorschlag der Union in sein Amt gekommen, er war auch bis zum 9. August 2011 noch Ministerpräsident des Saarlandes, und damit Vertreter der Exekutive. Ich will jetzt gar nicht weiter in die Waagschale werfen, dass er (auch das eine Eigenart des deutschen politischen Systems) vom 1. November 2008 bis zum 31. Oktober 2009 Präsident des Bundesrates und damit oberster Vertreter eines der Organe der Legislative war. Aber es ist doch bezeichnend, mit welcher Schamlosigkeit Politiker hier ihre Pfründe wahren und sich ohne Einhaltung wenigstens moralisch erwartbarer Karrenzzeiten (wenn es schon keine rechtlichen Vorgaben gibt) zwischen den verschiedenen Staatsgewalten bewegen.

„Was ist nun das eigentliche Problem?“, mögen einige Fragen. „Als Ministerpräsident und Jurist ist er doch bestens auf das Amt vorbereitet.“ Ich will Müller seinen Sachverstand in juristischen und politischen Fragen nicht absprechen und auch seine vierjährige Tätigkeit als Richter an Amts- und Landgericht mag genügen, um am Bundesverfassungsgericht sinnvolle und gute Arbeit zu leisten, aber sein direkter Übergang in die Legislative und seine persönliche Nähe zur Macht machen ihn anfällig für Freundschaftsdienste und Erpressungsversuche. Außerdem kann es, wenn es hart auf hart kommt, passieren, dass Müller als Bundesverfassungsrichter (Judikative) darüber entscheiden muss, ob ein Gesetz, das er als Ministerpräsident (Exekutive) mit erarbeitet und umgesetzt und als Bundesratspräsident (Legislative) mit verabschiedet hat, verfassungskonform war. Und wer könnte von ihm verlangen, in einem solchen Fall „nein“ zu sagen? Hier findet sich in einer Person eine massive Überschneidung von Interessen aller drei Gewalten. Die Gewaltenteilung, die einer der wichtigsten Grundpfeiler unserer parlamentarischen Demokratie ist, wird durch diese Personalie massiv gestört und damit wird auch unsere Verfassung von den Politikern, die Müller vorgeschlagen und gewählt haben, untergraben und mit Füßen getreten.