Die Linke und Gauck
Wir schreiben das Jahr 2012 und in Rekordtempo haben sich alle großen Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten geeinigt. Alle? Nein, eine kleine unbeugsame Schar von Andersdenkenden, die von den übrigen gar nicht erst gefragt wurde, verweigert Joachim Gauck ihre Zustimmung (die Piraten und die NPD lassen wir jetzt mal raus, denn die fragt ohnehin keiner). Die Linkspartei will Gauck auf keinen Fall unterstützen und sucht deshalb eifrig nach einem Gegenkandidaten, gern auch einer Gegenkandidatin.

Menschlich kann man natürlich nachvollziehen, dass die Linke nach dem Motto „Die anderen lassen uns ja sowieso nicht mitspielen“ erst schmollend in der Ecke sitzt und dann vor der ganzen Klasse große Töne macht, um auch ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wie immer in solchen Fällen schießt sie weit über das Ziel hinaus. Dass die Linke ein Problem mit Gauck hat, ist verständlich, aber ihn als „Vertreter des Finanzmarktkapitalismus“ und als „Kriegstreiber“ zu bezeichnen ist, um es vorsichtig auszudrücken, weltfremd.

Im Grunde sind es zwei Punkte, die aus Sicht der Linkspartei gegen Gauck sprechen:

1. Gauck steht als Vertreter der Bürgerrechtsbewegung der DDR gegen alles, wofür die Vergangenheit der Linken als SED/PDS steht. Zahllose Parteimitglieder und Wähler der Linken, die in der DDR hohe Positionen eingenommen hatten oder zumindest nostalgisch rückblickend ein angenehmes Leben gehabt zu haben glauben, sehen in der Bürgerrechtsbewegung immer noch ihren historischen Erzfeind, der ihnen mit der friedlichen Revolution 1989 all das genommen hat, was ihnen lieb und teuer war.

2. Gauck war Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, die maßgeblich dazu beigetragen hat, viele Parlamentarier und Wähler der Linken einer aktiven Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit, ob nun offiziell oder als inoffizieller Mitarbeiter, zu überführen. Sie haben durch diese Arbeit Parlamentssitze und gut bezahlte Anstellungen im öffentlichen Dienst verloren oder gar nicht erst bekommen. Die Schließung der Stasi-Unterlagenbehörde wäre wahrscheinlich die erste Amtshandlung einer Kanzlers der Linkspartei, da kann man kaum erwarten, dass die Partei den ehemaligen Leiter dieser Behörde, die wertvolle Dienste für die Aufarbeitung von DDR-Unrecht geleistet hat, als Bundespräsident befürworten würde.

Warum hat die Linke nicht den Mut, offen zu sagen, was sie an Gauck stört? Die meisten ihrer Wähler sehen das sicher genauso, das heißt, hier gibt es eine gute Gelegenheit zur Wählerbindung. Und die anderen lassen die Linke ohnehin nicht mitspielen, da kann ein bisschen Ehrlichkeit doch nicht schaden, oder?