Mittwoch, 16. Mai 2012
Fortuna – Mehr Glück als Verstand?
Bis gestern mochte ich die Fortuna. Ich habe mitgelitten, als sie nach unten durchgereicht wurde. Ich habe mich gefreut, als sie Schritt für Schritt wieder nach oben gekommen ist. Ich hatte gehofft, dass sie irgendwann wieder in die 1. Liga aufsteigen würde, denn ich war der Meinung, dass sie dort hingehört. Bis gestern.

Heute wäre ich froh, wenn die Fortuna im Mittelfeld der Oberliga rumdümpeln würde, und das auf absehbare Zeit. Was sich gestern in Düsseldorf abgespielt hat, ist vielleicht nur ein weiterer Zwischenfall in einer Reihe von Provokationen gegen das Fair Play im deutschen Fußball, eine weitere Verschiebung von der Bedeutung der Sportler hin zu den Rängen. Aber jeder kleine Schritt führt uns zu einem Szenario, in dem Fußballspiele nicht mehr durch die Spieler entschieden werden, sondern durch die Fans. Wenn sie der Meinung sind, dass Spiel müsse jetzt abgepfiffen werden, dann stürmen sie den Rasen und machen ein packendes, dramatisches Finish kaputt. Natürlich wurde die Zeit nachgespielt, aber jedem, der irgendwann einmal Sport getrieben hat, dürfte klar sein, dass nach 20 Minuten Pause in einer kurzen Nachspielzeit die Luft raus ist. Die Fans haben das auch gewusst und mit kaltem Kalkül jede Chance der Hertha auf ein drittes Tor zerstört.

Die Frage, die sich der Liga, den Vereinen und dem DFB nach diesem Spiel stellt, ist, wie lange man diese Übergriffe der Fans auf das Spiel noch dulden will. Erst am Montag sind fünf Mannschaften mit Geldstrafen belegt worden, weil ihre Anhänger gegen Ligastatuten verstoßen haben. Die höchste Geldstrafe lag bei 10.000 Euro. Das ist lächerlich. Hier müssen klare Regeln her, die die Vereine empfindlich treffen. Und diese Regeln müssen im Vorhinein klar sein und strikt umgesetzt werden. Werfen eines Gegenstandes – 3 Punkte Abzug, Werfen mit Treffer – 6 Punkte Abzug und ein Heimspiel ohne Zuschauer, Illegales Pyro – 6 Punkte Abzug, Stürmen des Platzes – Ausschluss vom Spielbetrieb usw. Bei drei Vergehen in einer Saison muss es einen automatischen Zwangsausschluss geben. Nur solche Strafen können den Fokus wieder auf das Spiel lenken und selbstverliebte Idioten in ihre Schranken weisen.

Die Vereine ihrerseits wären dann gefordert, mit geeigneten Maßnahmen und genügend Ordnern Störer zu identifizieren, aus dem Verkehr zu ziehen und für den finanziellen Schaden aufkommen zu lassen. Wenn sie dazu nicht bereit sind, weil sie Angst vor ein paar Ultras und anderen Fangruppen haben, dann gehören sie eben nicht in den deutschen Profifußball. Und wenn sie es nicht schaffen, ihre Fans in die Gesamtchoreographie eines Fußballspieles einzubinden, ohne dass die Gesundheit von Spielern, Funktionären und Zuschauern aufs Spiel gesetzt wird, dann sollten sie schleunigst das Management wechseln oder die Tribünen abreißen.

Und auch Liga und DFB sind gefragt. Pyros sind geil, sie machen Stimmung und sind per se nicht illegal. Es müssen Baumaßnahmen in allen Stadien her, die es den Ultras ermöglichen, vor dem Spiel und während der Halbzeitpause Pyros in ihre Tifos einzubinden. Wer dann immer noch in der Kurve zündelt, muss sofort abgeführt werden und zahlt für den Schaden, der durch die folgende automatische Strafe durch die Liga entsteht. Punkt. Aus.

Ach ja, die Fortuna. Nach dem, was gestern geschehen ist, gibt es nur zwei Lösungen:
Die konsequentere, die auch anderen Vereinen, wie etwa Frankfurt oder Nürnberg klar machen würde, was geschieht, wenn sich ihre Fans nicht unter Kontrolle kriegen, wäre ein sofortiger Ausschluss Düsseldorfs aus der ersten Liga. Das Spiel müsste 3:0 für Hertha gewertet werden. Damit hätten die Berliner die Relegation gewonnen.
Die Weichspülvariante wäre ein Wiederholungsspiel auf neutralem Platz.

Wahrscheinlich wird es aber doch wieder nur eine Geldstrafe im vierstelligen Bereich und einen erhobenen Zeigefinger geben. Denn die Herren der Liga haben noch nie Eier gehabt.



Freitag, 30. März 2012
Die Kapitalvernichter – oder: nachhaltige Geldanlage
Als ich diese Geschichte in einer comedy-Sendung gehört habe, dachte ich zuerst: ,Nette Story, aber aus dramaturgischen Gründen maßlos überzogen.’ Es hat mir dann doch keine Ruhe gelassen, und ich habe selbst ein bisschen recherchiert. Und siehe da, der Komiker hatte Recht, und hat sogar noch untertrieben.

Es ging um Geldanlagen an der Börse (in der Sendung war die Telekom AG dran), bei denen man, man mag es kaum glauben, wenn man die täglichen Rekordmeldungen des DAX in den Medien vernimmt, auch Verluste machen kann. Und dann stellt sich natürlich automatisch die Frage: „Gibt es vielleicht risikofreiere, nachhaltigere und erfreulichere Geldanlagen als die Spekulation mit Aktien, Derivaten und sonstigen spannenden Finanzprodukten?“

Hier ein Praxisbeispiel:

Wer im Jahr 2007 Aktien der Commerzbank kaufen wollte, musste pro Aktie etwa 26 Euro auf den Tisch legen. Für 50 Aktien dieser Bank bezahlte man damals also 1300 Euro (Gebühren und Provisionen lassen wir mal außen vor, denn die sind bei unserem Rechenbeispiel eher marginal). Im März 2012 ist der Kurs der Commerzbankaktie auf 1, 86 Euro gefallen. Das heißt, von den investierten 1300 Euro stehen noch genau 93 Euro zu Buche.

Wer im Jahr 2007 für 1300 Euro Bier gekauft hat, konnte dafür, je nach Marke und Geschäft, etwa 93 Bierkästen kaufen (wirklich wahr, die 93 verfolgt uns, oder?). Der Kastenpreis ist hier für den 20er Kasten mit 13,90 Euro angesetzt, wovon 3,10 Euro auf Pfand entfallen. Insgesamt handelt es sich dabei um 1860 Flaschen Bier. Der Käufer dieser 93 Kästen konnte also zwischen 2007 und 2012 jeden Tag eine Flasche Bier trinken und sonntags sogar zwei, verbunden mit der entsprechenden Sättigung und dem Spaß, und hat immer noch Leergut im Wert von 288,30 Euro zu Hause, das er wieder in Bargeld umsetzen kann.

Was lernen wir daraus? Trinkt mehr Bier!

(Und wer doch auf seinen Commerzbankaktien im Wert von 93 Euro sitzen geblieben ist? Schnell verkaufen, sechs Kästen Bier kaufen und den Frust runterspülen. Der Pfand im Wert von 18,60 Euro reicht dann sogar für noch einen Kasten.)



Donnerstag, 23. Februar 2012
Die Linke und Gauck
Wir schreiben das Jahr 2012 und in Rekordtempo haben sich alle großen Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten geeinigt. Alle? Nein, eine kleine unbeugsame Schar von Andersdenkenden, die von den übrigen gar nicht erst gefragt wurde, verweigert Joachim Gauck ihre Zustimmung (die Piraten und die NPD lassen wir jetzt mal raus, denn die fragt ohnehin keiner). Die Linkspartei will Gauck auf keinen Fall unterstützen und sucht deshalb eifrig nach einem Gegenkandidaten, gern auch einer Gegenkandidatin.

Menschlich kann man natürlich nachvollziehen, dass die Linke nach dem Motto „Die anderen lassen uns ja sowieso nicht mitspielen“ erst schmollend in der Ecke sitzt und dann vor der ganzen Klasse große Töne macht, um auch ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wie immer in solchen Fällen schießt sie weit über das Ziel hinaus. Dass die Linke ein Problem mit Gauck hat, ist verständlich, aber ihn als „Vertreter des Finanzmarktkapitalismus“ und als „Kriegstreiber“ zu bezeichnen ist, um es vorsichtig auszudrücken, weltfremd.

Im Grunde sind es zwei Punkte, die aus Sicht der Linkspartei gegen Gauck sprechen:

1. Gauck steht als Vertreter der Bürgerrechtsbewegung der DDR gegen alles, wofür die Vergangenheit der Linken als SED/PDS steht. Zahllose Parteimitglieder und Wähler der Linken, die in der DDR hohe Positionen eingenommen hatten oder zumindest nostalgisch rückblickend ein angenehmes Leben gehabt zu haben glauben, sehen in der Bürgerrechtsbewegung immer noch ihren historischen Erzfeind, der ihnen mit der friedlichen Revolution 1989 all das genommen hat, was ihnen lieb und teuer war.

2. Gauck war Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, die maßgeblich dazu beigetragen hat, viele Parlamentarier und Wähler der Linken einer aktiven Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit, ob nun offiziell oder als inoffizieller Mitarbeiter, zu überführen. Sie haben durch diese Arbeit Parlamentssitze und gut bezahlte Anstellungen im öffentlichen Dienst verloren oder gar nicht erst bekommen. Die Schließung der Stasi-Unterlagenbehörde wäre wahrscheinlich die erste Amtshandlung einer Kanzlers der Linkspartei, da kann man kaum erwarten, dass die Partei den ehemaligen Leiter dieser Behörde, die wertvolle Dienste für die Aufarbeitung von DDR-Unrecht geleistet hat, als Bundespräsident befürworten würde.

Warum hat die Linke nicht den Mut, offen zu sagen, was sie an Gauck stört? Die meisten ihrer Wähler sehen das sicher genauso, das heißt, hier gibt es eine gute Gelegenheit zur Wählerbindung. Und die anderen lassen die Linke ohnehin nicht mitspielen, da kann ein bisschen Ehrlichkeit doch nicht schaden, oder?



Freitag, 17. Februar 2012
Wulff tritt zurück - Bühne frei
Wieder einmal ist ein langer politischer Tod gestorben worden und wieder einmal haben wir alle fasziniert zugeschaut, mit dem wohligen Gefühl, dass wir genau wissen, wie das ganze ausgehen wird. Christian Wulff als Bundespräsident ist Geschichte und es wird wohl kaum jemanden geben, der nicht von sich behauptet: „Hab ich kommen sehen.“

Es ist müßig, jetzt darüber zu diskutieren, ob dieser Rücktritt gerechtfertigt, feige oder zu lange hinausgezögert war. Er ist vollzogen und endlich kann sich Deutschland wieder auf eine neue Pressekampagne freuen, diesmal über die um die Nachfolge als Bundespräsident. Wir werden viele Namen und Bilder präsentiert bekommen. Wie üblich werden die ersten offiziell genannten Kandidaten (Schäuble, von der Leyen, Gauck) von allen Seiten ob ihrer Parteilichkeit oder anderer Mängel zerrissen und zurückgewiesen werden, wie üblich wird wieder jemand Thomas Gottschalk oder Dieter Bohlen vorschlagen (der den großen Vorteil hätte, dass zumindest keine überraschenden Skandale an seiner persönlichen Integrität rütteln könnten) und wie üblich werden wir einen ganz am Ende aus dem Hut gezauberten Parteipolitiker präsentiert bekommen. Vielleicht wird es ja Ole von Beust, der ist ja immerhin auch ein Freiherr. Wer weiß das schon. Aber das ist nicht das wichtigste, wichtig ist nur, dass die Medien wieder einige Wochen lang hohe Auflagen und Zuschauerraten verzeichnen können und wir uns alle so richtig demokratisch fühlen, weil wir Präsidenten, die es noch nicht mal schaffen, sich von dubiosen Krediten eine Prunkvilla zu bauen, einfach in die Wüste schicken können.

(Ein Vorschlag zur Güte für die Nachfolgeregelung wäre Angela Merkel. In einer Doppelfunktion als Kanzlerin und Präsidenten könnte sie sich endlich ihren Spitznamen richtig verdienen und sie müsste dann auch keine Angst mehr vor einer Niederlage bei der nächsten Bundestagswahl haben, denn Präsidentin könnte sie ja erstmal bleiben. Da wäre sie doch viel freier in ihren Entscheidungen und das Regieren und Regiertwerden würde gleich wieder viel mehr Spaß machen.)



Donnerstag, 2. Februar 2012
Hannah Arendt, Macht und Gewalt
Hannah Arendt hat sich in Ihrem Essay Macht und Gewalt vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges, der Dekolonialisierung in Afrika und der Studentenunruhen in Europa und Nordamerika in den 1960er Jahren mit dem Verhältnis von Macht und Gewalt in menschlichen Gesellschaften auseinandergesetzt.
Zunächst konstatiert sie, dass in den meisten wissenschaftlichen Abhandlungen und Diskursen Macht und Gewalt gleichgesetzt oder zumindest als sich gegenseitig bedingende Faktoren ein und desselben Phänomens, der Herrschaft, verstanden werden. An die Macht in einer Gesellschaft wird meist der Besitz des Gewaltmonopols oder zumindest der umfangreichste Zugriff auf die Gewaltmittel innerhalb der Gesellschaft gekoppelt, er bildet geradezu die Voraussetzung der Macht (u.a. Weber). Gleichzeitig stellt Arendt fest, dass Macht eine grundlegende Konstante menschlicher Vergemeinschaftung ist. Dort, wo sich Menschen zusammenfanden und –finden, entsteht laut Arendt zwangsläufig Macht.

Im Unterschied zu der von ihr kritisierten Forschung trennt Arendt Macht und Gewalt in ihrer Funktion voneinander. Macht ist dabei ein essentieller Aspekt menschlicher Gesellschaften (Gesellschaften können laut Arendt nicht ohne Macht sein), hingegen steht sie der Gewalt lediglich einen funktionalen Charakter zu. Gewalt ist nötig, um bestimmte Zustände zu erreichen oder zu erhalten, sie kann aber nicht selbst Zweck gesellschaftlicher Handlungen sein. Gewalt dient damit laut Arendt immer einem höheren Ziel (meist paradoxerweise der Erreichung des Friedens).

Arendt stellt fest, dass Macht in Gesellschaften grundsätzlich nicht an Gewalt gebunden ist. Absolute Macht wird ihr zu Folge gerade durch die Abwesenheit von Gewalt demonstriert. Absolute Macht kann auf jeden Einsatz von Gewalt gegen alle Beteiligten verzichten, gerade weil sie aus sich heraus ihre Macht konstituiert. Gewalt kommt immer dann ins Spiel, wenn die Macht abnimmt. Die zum Substitut der Macht, um die Position der Herrschenden in der Gesellschaft zu behaupten. Jeder Gewalteinsatz führt dabei aber unweigerlich zu einem weiteren Verlust an Macht, wie Arendt u.a. am Beispiel des Einmarsches des Warschauer Paktes in die CSSR aufzeigt. Das Problematische, das gerade an diesem Beispiel gezeigt werden kann, ist das Faktum, dass reine Gewalt reiner Macht immer überlegen ist, nach dem Sieg über die Macht aber selbst keine neue Macht etablieren kann. Aus diesen Überlegungen heraus kommt Arendt zu dem Schluss, dass Gewalt generell ein Zeichen schwacher Macht ist. Je größer die Gewalt, desto schwächer die Macht und desto unwahrscheinlicher auch eine Rückkehr an die Macht für denjenigen, der die Gewalt ausübt. (Hier finden sich interessante Parallelen zu den Vorgängen in Libyen und Ägypten im Jahr 2011 – Anm. d. Verf.)

In einem anderen Blickwinkel kann Gewalt allerdings auch ein Mittel der Machtlosen sein, um (schwache) Herrscher zu stürzen. Diese Gewalt bricht sich laut Marx in revolutionären Situationen Bahn, die durch ein immer stärker werdendes Anstauen von Gewaltpotential in der nicht herrschenden Gesellschaftsklasse gekennzeichnet ist. Arendt macht hier auf die Denkfehler der „neuen Linken“ aufmerksam, die sowohl die Kurzfristigkeit der Gewaltphasen in den marxschen Thesen, als auch die Notwendigkeit einer von innen heraus wachsenden Gewaltbereitschaft und der Führerschaft und Organisation der revolutionären Kräfte (meist) durch Angehörige der eigentlich herrschenden Klasse in ihren Überlegungen ausblenden. Gewalt, die von diesen Kräften gern als Allheilmittel verstanden wird, ist eben dieses nicht. Sie muss nach einer erfolgreichen Revolution von Macht abgelöst werden. Dazu besteht die Notwendigkeit, dass sich in der die Revolution tragenden Klasse Gruppen finden, die bereit sind, die Macht zu ergreifen. Hierzu sind neben dem eigentlichen Machtwillen auch Ressourcen zur Machtausübung (materiell und intellektuell) und ein gewisser Grad an innerer Organisation notwendig. Andernfalls entsteht nach der Revolution ein Machtvakuum, dass in unterschiedliche Richtungen entwickeln kann (z. Bsp. Anarchie, Rückkehr der alten herrschenden Gruppe an die Macht, Gewaltherrschaft und Terrorherrschaft [Polizeistaat]). All diese Entwicklungen haben gemeinsam, dass die eigentlich die Revolution tragende Gruppe von der Machtausübung ausgeschlossen bleibt.
(Auf die Spitze getrieben und mit Arendts Thesen vom Ausschluss großer Teile der Gesellschaft von aktiver politischer Partizipation in den westlichen Gesellschaften durchaus konform könnte man die Ergebnisse der Revolution in der ehemaligen DDR oder auch das Herausdrängen der Jugend aus dem politischen Prozess in Ägypten in diesem Jahr unter diese Kategorie fassen.)

In einem weiteren Punkt greift Arendt das Problem von Gewaltanwendung nach Außen für im Inneren als (gewaltfreie) Demokratien organisierte Gemeinschaften auf. Sie zeigt am Beispiel der britischen Kolonialpolitik in Indien und des Erfolgs Ghandis die Problematik auf, die ein Einsatz von Gewaltmitteln auf die inneren Verhältnisse in Großbritannien mit sich gebracht hätte. Laut Arendt wäre die Gefahr groß gewesen, dass die Gewaltanwendungen Rückwirkungen auf die Gesellschaft in Großbritannien selbst gehabt hätten und somit die Macht von Parlament und Regierung zu Gunsten von Gewalt zurückgedrängt worden wäre. (Auch hier lassen sich Parallelen zu den späteren Problemen der britischen Gesellschaft während des Falklandkrieges, der Probleme der USA sowohl im Inneren als auch in Irak und Afghanistan während der beiden Kriege sowie zur prekären Machtposition der britischen Regierung in Nordirland zwischen 1920 und 2000 nicht von der Hand weisen.)

Arendts scharfsinnige Analyse ist in großen Teilen überzeugend formuliert, lässt aber auch einige Problemfelder unbeantwortet. Zum einen zeigt sie zwar auf, dass Gewaltanwendung der Macht in der Gesellschaft immer abträglich ist, sie vermeidet es aber, alternative Konzepte zur gewaltfreien Etablierung und Sicherung von Macht vorzustellen. Als Voraussetzung für absolute Macht geht Arendt lediglich von einer Verfassung aus, deren Gesetze von allen Bürgern akzeptiert und deshalb freiwillig beachtet werden. Diese Vorstellung ist unrealistisch und geht von einer Konformität der Gesellschaft aus, die Macht schon fast wieder unnötig machen würde. Arendt zeigt keine Wege auf, wie die Minderheit, die sich der Akzeptanz einzelner Gesetze verweigert, ohne Gewaltmittel zu deren Einhaltung gebracht werden kann, wobei hier natürlich auch eine genauere Definition des Begriffs Gewaltmittel nötig ist (auch Strafzettel können als solche bezeichnet werden, obwohl aus Arendts Ausführungen hervorgeht, dass sie vor allem von körperlichen Gewaltmitteln und Waffen als Zwangsmittel ausgeht).
Der letzte Kritikpunkt betrifft die Darstellung der Gewalt als funktional. Arendt gelingt es zwar, die Funktionalität der Gewalt gegenüber der Essentialität von Macht zu erklären, sie unterlässt es aber zu erklären, welche Funktion die Gewalt ausübt. Da Gewalt gerade nicht Macht erhält, kann ihre Funktionalität nicht mit der Macht verbunden sein. Sie dient gerade nicht der Macht. Die beiden Punkte, die nach Arendt am ehesten als Ziele der Gewalt und damit als Nutznießer ihrer Funktion in Frage kämen wären Herrschaft und Frieden, aber eine Antwort auf diese interessante Frage bliebt die Verfasserin offen.



Urban Dead - eine Mikrostudie
Urban Dead ist wie erwähnt ein Massive Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG). Das Setting liegt in der fiktiven Stadt Malton, die von einer Virusepidemie heimgesucht wurde, die in der Stadt ein Massensterben ausgelöst hat. Ein Rest von Lebenshauch steckt in den Toten, so dass sie als Zombies wieder auferstehen können und versuchen, die noch Überlebenden als Nahrungsquelle anzuzapfen (Zombies essen Gehirne, so einfach ist das). Aber, und das ist das Spannende am Spiel, wer tot ist, muss nicht tot bleiben. Es gibt eine Möglichkeit, Zombies wieder zu Überlebenden zu machen, indem man ihnen ein Serum spritzt. (Das heißt, es ist durch Tot und Wiederbelebung ein ständiger Seitenwechsel möglich, der von einigen Spielern als Dual Nature auch als das Essential des Spiels betrachtet wird. ) Um ein Ausgreifen der Epidemie zu verhindern, wurde die Stadt von der Außenwelt hermetisch abgeriegelt. Alles, was man zum überleben braucht, muss beim Durchsuchen von Gebäuden gefunden werden. In der Stadt herrscht ein ständiger Kampf ums Überleben – und Sterben lassen. Ganz wichtig: Jeder Spieler kann am Tag nur 50 Aktionen durchführen und auch nicht mehr als 150mal von der selben IP einloggen. Natürlich kann man alles umgehen, aber für die meisten Leute heißt das, maximal drei Charaktere gleichzeitig können aktiv betrieben werden. Und das in verschiedenen Ecken der Stadt, wer mehrere Leute gemeinsam agieren lässt, fliegt raus.

Die Grundlinien des Spiels sind also klar vorgegeben. Zombies wollen Gehirne essen, sprich die Überlebenden töten. Die Überlebenden wollen das nicht und verbarrikadieren sich in den Ruinen der Häuser. Mit der Zeit haben beide Seiten gemerkt, dass man in größeren Gruppen erfolgreicher agieren kann, sowohl was das Errichten von Barrikaden angeht, als auch das Zerstören derselbigen.
So einfach, wie das Konzept klingt, ist es dann aber doch nicht. Denn es gibt auch die Möglichkeit, als Überlebender andere Überlebende zu töten. Die so genannten PKer (Player Killers) sind die meistgehassten Spielertypen (obwohl ich als regelmäßiges Opfer zugeben muss, dass ein gut gespielter Bösewicht den Reiz des Spiels durchaus erhöht – auch wenn er tierisch nervt), vielleicht nur noch getoppt von den GKern, die wichtige Einrichtung, vor allem Generatoren zur Stromversorgung zerstören.

Klingt alles total kompliziert? Macht nichts, beim Weiterlesen wird es bestimmt verständlicher. Und am leichtesten ist es natürlich, wenn man sich bei www.urbandead.com selbst ein Bild von der Lage macht.



Tchoukball
Tchoukball ist so ein irres Spiel, dass es jeder einmal im Leben probiert haben sollte. Es ist so ungewöhnlich, dass selbst erfahrene Ballsportler zu Beginn große Probleme haben, mit den Regeln klarzukommen. Aber gerade deshalb ist es auch so interessant, denn es gibt (außer für passionierte Tchoukballer) für niemanden einen wirklichen Spielvorteil.

Die Spielfeldgröße kann recht variabel sein, ein Handballfeld wäre nicht schlecht. Dann braucht man noch einen Handball und zwei Rahmen. Letztere sind aber sauteuer, weshalb wir einfach zwei Minitrampoline nehmen und diese sehr schräg aufstellen. Um die beiden Tore herum markieren wir eine verbotene Zone mit einem Radius von 3 Metern. In diese Zone darf niemand hineintreten.
Ein Team besteht aus 9 Spielern. Es spielen immer zwei Teams gegeneinander. Das Team in Ballbesitz darf bis zu drei Pässe spielen. Laufen oder Dribbeln mit dem Ball sind nicht erlaubt. Das Passspiel darf vom Gegner aber auch nicht aktiv behindert werden. Spätestens nach dem dritten Pass muss auf das Tor geworfen werden. Es ist dabei vollkommen egal, auf welches der beiden Tore eine Mannschaft wirft.
Jetzt wird es interessant, denn es geht um Punkte.
Macht der Werfer einen der folgenden Fehler, kriegt die gegnerische Mannschaft (die bisher hauptsächlich rumgestanden hat) einen Punkt:

- Das Tor wird nicht getroffen
- Der Ball springt vom Tor direkt ins Aus
- Der Ball landet in der verbotenen Zone
- Der Werfer berührt den Ball direkt nach dem Torwurf

Wenn das alles nicht passiert, ist jetzt die gegnerische Mannschaft gefragt (genau, die, die bisher nur rumgestanden hat). Die muss den Ball fangen, nachdem er vom Tor zurückgesprungen ist, bevor er den Boden berührt. Man kann ihn zwischendurch auch baggern (wie beim Volleyball), Hauptsache, der Ball fällt nicht auf den Boden. Passiert das doch, kriegt die Mannschaft des Werfers (die bisher rumgerannt ist und gepasst und geworfen hat) einen Punkt.

Offiziell dauert ein Spiel drei mal 15 Minuten mit jeweils 5 Minuten Pause. Aber zum Ausprobieren kann man natürlich auch erstmal eine kürzere Spielzeit vereinbaren. Ja, und gewonnen hat das Team mit den meisten Punkten. Das muss dann zur Strafe aufräumen.



Urban Dead und das Soziale
Ja, ich gebe es zu: Auch ich fröne regelmäßig den Verlockungen der multimedialen Spielwelt. Glück im Unglück – ich bin irgendwann einmal bei Urban Dead hängengeblieben, einem MMORPG, das schon durch seine Spielregeln verhindert, dass der Spieler mehrere Stunden täglich in den Weiten des virtuellen Lebens abtaucht.

Urband Dead ist aber nicht nur ein netter Zeitvertreib, mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es eine Fundgrube für die Beobachtung sozialer Umgangsformen und Prozesse darstellt. Deshalb habe ich beschlossen, mich etwas eingehender damit auseinanderzusetzen, wie das Spiel funktioniert, welche Rollen die Spieler einnehmen und vor allem, wie (a)soziale Interaktion in einem gesellschaftlichen Raum funktioniert, der zu großen Teilen von sich in der realen Welt vollkommen unbekannten Personen gebildet wird.

Bevor wir aber hinter die Kulissen schauen, ist es wohl sinnvoll, das Spielprinzip kurz zu erklären, damit auch all jene, die Urban Dead nicht kennen und auch keine Lust haben, es kennen zu lernen und sich damit noch ein Laster ans Bein zu binden, überhaupt wissen, worum es geht.



Die causa Peter Müller
Seit 19. Dezember 2011 ist Peter Müller Bundesverfassungsrichter, und keiner hat‘s gemerkt. Das liegt zum Teil sicher auch daran, dass uns alle die Finanzierung eines Klinkerhauses in Großburgwedel viel zu sehr beschäftigt hat. Ein raffinierter Schachzug der Medienkampagne der Union, das kann man wohl auch ohne Verschwörungstheorien zu bemühen getrost so sagen.

Denn das Thema Peter Müller ist viel umfangreicher und kritischer, als der bisher schon so häufig kritisierte Einfluss der politischen Parteien auf die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts. Dass über das Zugeständnis des Parteienproporzes und damit das Vorschlagsrecht der großen politischen Parteien für Posten am Bundesverfassungsgericht durch Auswahl genehmer Kandidaten massiv auf die Meinungs- und Stimmungslage im Bundesverfassungsgericht eingegriffen werden kann, ist schon lange kein Anlass mehr für Aufregung und hitzige Debatten. Dass dies regelmäßig zu einer Einflussnahme der Legislative und Exekutive in die Interessenssphäre der Legislative führt, wird auch nur noch äußerst selten als Problem für die Gewaltenteilung, die ja gerade auf der strikten Trennung dieser drei Gewalten basiert, aufgefasst.

Aber genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Peter Müller ist nicht nur auf Vorschlag der Union in sein Amt gekommen, er war auch bis zum 9. August 2011 noch Ministerpräsident des Saarlandes, und damit Vertreter der Exekutive. Ich will jetzt gar nicht weiter in die Waagschale werfen, dass er (auch das eine Eigenart des deutschen politischen Systems) vom 1. November 2008 bis zum 31. Oktober 2009 Präsident des Bundesrates und damit oberster Vertreter eines der Organe der Legislative war. Aber es ist doch bezeichnend, mit welcher Schamlosigkeit Politiker hier ihre Pfründe wahren und sich ohne Einhaltung wenigstens moralisch erwartbarer Karrenzzeiten (wenn es schon keine rechtlichen Vorgaben gibt) zwischen den verschiedenen Staatsgewalten bewegen.

„Was ist nun das eigentliche Problem?“, mögen einige Fragen. „Als Ministerpräsident und Jurist ist er doch bestens auf das Amt vorbereitet.“ Ich will Müller seinen Sachverstand in juristischen und politischen Fragen nicht absprechen und auch seine vierjährige Tätigkeit als Richter an Amts- und Landgericht mag genügen, um am Bundesverfassungsgericht sinnvolle und gute Arbeit zu leisten, aber sein direkter Übergang in die Legislative und seine persönliche Nähe zur Macht machen ihn anfällig für Freundschaftsdienste und Erpressungsversuche. Außerdem kann es, wenn es hart auf hart kommt, passieren, dass Müller als Bundesverfassungsrichter (Judikative) darüber entscheiden muss, ob ein Gesetz, das er als Ministerpräsident (Exekutive) mit erarbeitet und umgesetzt und als Bundesratspräsident (Legislative) mit verabschiedet hat, verfassungskonform war. Und wer könnte von ihm verlangen, in einem solchen Fall „nein“ zu sagen? Hier findet sich in einer Person eine massive Überschneidung von Interessen aller drei Gewalten. Die Gewaltenteilung, die einer der wichtigsten Grundpfeiler unserer parlamentarischen Demokratie ist, wird durch diese Personalie massiv gestört und damit wird auch unsere Verfassung von den Politikern, die Müller vorgeschlagen und gewählt haben, untergraben und mit Füßen getreten.



Deutsche Handballer nicht bei Olympia
Die deutsche Handballnationalmannschaft der Herren hat die Olympiaqualifikation verpasst und das ganze Land trauert mit ihnen. Dabei interessiert sich doch sonst niemand für Handball. Mal abgesehen von der WM 2007, die ja auch im eigenen Land stattgefunden hat, ist eine Handball-WM oder –EM eher was für Eingeweihte. Dabei hat das Spiel durchaus viel zu bieten, auf jeden Fall mehr Tempo, Tore und Zweikampfszenen als Fußball.

Aber jetzt haben es die Deutschen nicht zu Olympia geschafft und die ganze Nation fragt sich: „Wie konnte es soweit kommen?“ Dabei ist Handball doch der deutsche Sport schlechthin. Hierzulande quasi geboren und weiterentwickelt. Und jetzt sowas. WIR sind nicht dabei in London.

Zunächst einmal – etwa 18 deutsche Handballer sind nicht dabei. Unsereiner wäre so oder so nicht mitgenommen worden. Und wenn die Herren es nicht hinkriegen, dann ist das zwar schade für sie, aber mehr auch nicht. Deutschland ist keine Handballnation, und wir sollten nicht alle vier, fünf Jahre so tun, als wären wir eine. Wenn das vielen Leuten nicht passt, kann man das ändern. Schickt Eure Jungs zum Handball- statt zum Fußballtraining, dann gibt es in absehbarer Zeit auch mehr gute Handballer im Lande. Wenn nicht, bleibt uns weiter nur das Jammern über die Schiedsrichter, den Ball, die Zuschauer oder die komische Tabellenabrechung (Deutschland hat genauso viele Punkte wie Mazedonien, eine gleiche Tordifferenz bei mehr erzielten Treffern, das direkte Aufeinandertreffen gewonnen und trotzdem sind die Mazedonier vor uns? Ja, weil die Polen auch 5 Punkte haben und dann zählt der Dreiervergleich, den die Mazedonier mit einem Tor für sich entschieden haben).

Pech gehabt, eben.